Heimo Erbse

Stifter des Heimo Erbse Förderpreises, 1924–2005

Biografie

Heimo Erbse (* 27. Februar 1924 in Rudolstadt; † 22. September 2005 in Baden bei Wien) war ein deutsch-österreichischer Komponist und Opernregisseur.

Mit großen und prominent besetzten Werken machte der Blacher-Schüler Heimo Erbse in jungen Jahren auf sich aufmerksam, ehe er sich bald fast völlig von der Außenwelt zurückzog. Unbeirrt setzte er sich auch in späterer Zeit vor allem mit der Gattung der Symphonie auseinander.

Eine an der russischen Front erlittene Schussverletzung verhinderte die angestrebte Karriere als Instrumentalist. Nach dem 2. Weltkrieg setzte Erbse seine musikalische Ausbildung fort und studierte Dirigieren (Hermann Abendroth) und Opernregie (Ernst Kranz). In Österreich engagierte sich insbesondere Gottfried von Einem, sein Studienkollege bei Blacher, für die Aufführung von Erbses Werken.

Das entscheidende Jahr in der Karriere des Komponisten war 1959, in dem sowohl sein Ballett „Ruth“ (nach dem Alten Testament) an der Wiener Staatsoper als auch die Oper „Julietta“ bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurden.

Stilistisch zeigt Erbses Œuvre den Einfluss seines Lehrers Boris Blacher: transparenter Satz mit Augenmerk auf der linearen Entwicklung, akzentuierte Rhythmik, ausgeprägte Ostinato-Technik sowie freie, stark chromatische Tonalität. Virtuose Gesten treten zugunsten sparsamer linearer Gestaltung zurück.

Wichtige Werke

„Julietta“
Opera semiseria in vier Akten, op. 15 (1957), nach der Novelle „Die Marquise von O…“ von Heinrich von Kleist, uraufgeführt am 17. Aug. 1959 bei den Salzburger Festspielen

„Ruth Ballett“
(1958), nach dem Alten Testament 2 Akte op. 16, uraufgeführt am 1959 in der Wiener Staatsoper

„Der Herr in Grau“
kom. Oper op 24 (1965/66)

„Der Deserteur“
Oper 2 Akte (1983)

„Ein Traumspiel“
(August Strindberg), Schauspielmusik

„Leonce und Lena“
(Georg Büchner), Schauspielmusik

Auszeichnungen

1954 – Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste München
1955 – Kulturpreis der Industrie Köln
1955 – Preis in einem Wettbewerb des deutschen Komponistenverbandes
1956 – Berliner Kunstpreis für Musik (Junge Generation)
1956 – Prix de la Fondation Européenne de la Culture
1957 – Prix de la Fondation Européenne de la Culture
1961 – Beethoven-Preis der Stadt Bonn
1973 – Würdigungspreis für Musik des BMUK und Österreichischer Staatspreis
1985 – Verleihung des Professorentitels durch den österreichischen Bundespräsidenten
1994 – Kulturpreis der Stadt Baden
1996 – Würdigungspreis des Landes Niederösterreich

Selbstdarstellung

Geboren wurde ich am 27.02.1924 in Rudolstadt/Thüringen. Somit müsste ich sagen, dass Rudolstadt nicht nur mein Geburts-, sondern auch mein Heimatort gewesen sei. Ich frage mich: Stimmt das? War ich wirklich dort „zu Hause“? Ich habe mich dort nie so gefühlt, nie habe ich die Stadt, die Nachbarn und das Elternhaus geliebt. Man schickte mich auf das dortige Gymnasium, doch ich hatte größte Schwierigkeiten mit den Fremdsprachen – eine Schwierigkeit, die ich bis heute nicht überwunden habe. Noch immer fällt es mir schwer, ja, es ist mir unmöglich, mich in einer anderen Sprache auszudrücken. Nach drei Jahren Gymnasialzeit wechselte ich auf die dortige Aufbauschule, doch die Pleite mit der Schule wurde nicht besser; ich war nicht nur ein schlechter Schüler, sondern auch ein Revolutionär. Kam noch der Klassenlehrer dazu, ein gewisser Herbert Brauer, der ein fanatischer Nationalsozialist war. Nun, ich war ein solcher nicht, die Erziehungsversuche des Herrn Brauer, mich zum Nazi zu machen, scheiterten, und somit flog ich in hohem Bogen ein Jahr vor dem Abitur von der Schule. Es war fast der herrlichste Augenblick meines damaligen Lebens: Nun konnte ich endlich ohne Abitur mein Musikstudium in Weimar beginnen, was ich auch sofort mit Begeisterung tat. Ich studierte Klavier und Flöte (auf dieser war ich schon ziemlich weit) und Komposition bei unserem Theorielehrer Sigfrid Walter Müller. Im dritten Semester trat ich mit Carl Weiss (Klavier) zwecks Spiels des 5. Brandenburgischen Konzerts auf.

Leider war diese schöne Zeit bald vorbei, denn im Herbst 1942 wurde ich Soldat. Soldat? Eine unmilitärische Witzfigur ist wohl das bessere Wort. Dennoch, man schickte mich 1943 nach Russland an die dickste Front. Doch ich hatte Glück: ein Volltreffer auf unsere Funkstelle kostete drei anderen das Leben, mir brachte es nur eine schwere Verletzung ein. Durch diesen erhielt ich zwei schwere Nervenschüsse: am rechten Fuß und am rechten Arm. Die Lähmung am Fuß ging zurück, die rechte Hand jedoch blieb gelähmt trotz einer Nervennaht, die man in Eisenstadt bei Jena versuchte und die misslang. Somit blieb meine rechte Hand für immer gelähmt, und der geliebte Beruf des Musikers schien in weite Feme gerückt. Trotzdem begann ich nach dem Krieg mutig mit dem fast aussichtslos scheinenden Musikstudium: Ich studierte wieder in Weimar Dirigieren (bei Hermann Abendroth), Opernregie (bei Ernst Kranz), ein Kompositionsstudium war leider nicht möglich, denn der betreffende Lehrer (Kurt Rasch) war kein Komponist, sondern eine Witzfigur. 1947 wurde ich als Regieassistent an das Stadttheater Jena engagiert, dort gab es keinen Regisseur. Somit hatte ich Glück und kam sehr bald zu eigenen Inszenierungen. Meine erste Arbeit war „Die lustigen Weiber von Windsor“, die einen erstaunlichen Erfolg hatten. Es folgten dann: „Rigoletto“, „Jolanta“ (Tschaikowsky), „Die verkaufte Braut“, und in der nächsten Spielzeit konnte ich als Regisseur nach Sondershausen gehen, wo ich „Die lustigen Weiber von Windsor“, „Butterfly“, „Wildschütz“ und „La Traviata“ inszenierte. Der Grund meines Übergangs nach Sondershausen war ein persönlicher: ich war verliebt in eine Sängerin, die mich durchaus heiraten wollte, was sie dann auch schaffte. Nach fünf Vierteljahren ließen wir uns wieder scheiden, denn diese Ehe war nicht das richtige. Immer war es das gleiche mit Frauen: alle wollten mich heiraten, aber den harten Weg, der zum künstlerischen Gipfel führt, wollte keine mitgehen.

 »Dann kam wohl der wichtigste
   Augenblick in meinem Leben«

Dann kam wohl der wichtigste Augenblick in meinem Leben: Im Herbst 1950 begegnete ich Boris Blacher. Diese Begegnung kann ich nur als „Einmaligkeit“ ansehen. Er riet mir dringend, die bisher in den Mittelpunkt gestellten Dinge zu vergessen und mich nur auf ein Kompositionsstudium bei ihm zu konzentrieren. Am Anfang hatten wir kleine Verständigungsschwierigkeiten, doch bald fanden wir den Weg einer gemeinsamen Sprache zueinander, und schon entwickelte sich ein großartiges Verständnis zwischen uns. Blacher eröffnete mir eine neue Welt, von der ich bis dahin nichts geahnt hatte. Er zeigte mir, wie ein Stück aufgebaut werden müsse, damit es auch wirklich ein Stück ist. Seine fachlichen Kenntnisse und seine Fähigkeiten, diese zu übermitteln, waren so großartig, dass ich daran zweifle, ob nach seinem Tode eine ähnliche Persönlichkeit an diese Stelle zu setzen wäre. Die anfänglichen Schwierigkeiten, die ein Studium in West-Berlin mit sich brachten, konnte ich mit einigen Opfern überwinden. Ich erhielt nur ein sehr kleines Stipendium, musste mir mit Nebenarbeiten Geld verdienen, aber ich kam durch.

Im Herbst 1951 schrieb ich meine ersten wesentlichen Kompositionen, unter anderem die „Sonate für zwei Klaviere“, die mich schlagartig international bekannt machte. Natürlich kann ich heute nicht sagen, wie weit Blacher zu diesem Erfolg mitgeholfen hat, doch auf seine Fürsprache hin landete ich beim Musikverlag Bote & Bock, dort wurde dieses Stück sofort gedruckt, und heute existiert es in der Schallplattenreihe des Deutschen Musikrates „Zeitgenössische Musik in der Bundesrepublik“. Den Erfolg dieses Stücks habe ich dem mir befreundeten Pianisten Mordechai Sheinkman zu verdanken, der sich als Interpret selbstlos für dieses Stück einsetzte. Sheinkman, ein jüdischer Amerikaner und großartiger Pianist, kam damals nach Berlin, um bei Blacher Komposition zu studieren. Uns verband eine sehr große Freundschaft, viel später dann gab Sheinkman unverständlicherweise die Musik auf und beging kürzlich in New York Selbstmord. Der dritte im Bunde war ein anderer Pianist, Horst Göbel aus Berlin, mit dem ich heute noch eng befreundet bin und der ein großartiger Interpret meiner Stücke ist.

Dann machte Werner Egk eine Ausschreibung über ein Stück für sein Schulorchester (nur für die besten Streicher), die ich mit meinem „Capriccio“ gewann. Dieses Stück wurde von ihm in Darmstadt uraufgeführt. 1952 erhielt ich einen Kompositionsauftrag der Berliner Festwochen, für diese eine Kammeroper zu schreiben. Ich wählte die „Fabel in C“ (eigener Text), sie wurde auf den Festwochen ausgepfiffen. Damals hielt ich mich für einen kommenden Opernkomponisten, doch inzwischen habe ich eingesehen, dass ich das nicht bin. 1953 schrieb ich auf Göbels Wunsch ein Klaviertrio, denn er war gerade dabei, ein Trio zu gründen. Doch die Mitspieler Göbels konnten und wollten das Stück nicht spielen. So landete die Uraufführung beim Biling-Trio. Gottlob hat Göbel seine Mitspieler ausgetauscht und leitet jetzt unter seinem Namen ein großartiges Trio, das auch mein Trio auf CD eingespielt hat.

1954 schrieb ich ein Stück, das ich für besonders wichtig halte: Die „Impression“. Ich war damals völlig unglücklich verliebt, wie man es nur in ganz jungen Jahren sein kann, und die Reaktion auf diesen Zustand ergab eben dieses Stück. Es ist in einer großartigen Interpretation unter Peter Keuschnig auf der CD der „Akademe der Künste“ erschienen. 1956 teilte mir Egk mit, dass er für das Frankfurter Musikfest eine Uraufführung suche, und fragte mich, ob ich eine für ihn hätte. Ich setzte mich sofort hin und schrieb die „Sinfonietta giocosa“, die dann dort als op. 14 uraufgeführt wurde.

Ich muss hier erwähnen, dass ich mir inzwischen neue Gebiete erarbeitet hatte: Schauspiel- und Filmmusiken. So wurde ich am Theater des Kurfürsten-Dammes bei Oscar Fritz Schuh dessen „Hauskomponist“, nachdem ich mit meiner Musik zu Strindbergs „Traumspiel“ großen Erfolg gehabt hatte. Auch in kleineren Filmgesellschaften wurde ich der „Hauskomponist“. Die wichtigste Arbeit in dieser Zeit aber war meine Oper „Julietta“ nach Kleists Novelle „Die Marquise von 0…“‚ deren Text ich selbst schrieb. Diese Oper reichte ich stolz bei den Salzburger Festspielen ein, nach einem Vorspiel vor Karajan wurde das Stück angenommen und dort 1959 uraufgeführt. Obwohl die Besetzung großartig war, konnte und kann ich die schlechten Kritiken des Stücks nicht verstehen. Bis heute nicht. Ich hoffe sehr, dass auch dieses Stück demnächst auf CD erscheinen wird.

Doch nun muss ich um Jahre zurückgreifen und erzählen, dass ich 1957 Berlin verlassen hatte, denn ich hatte mir (nach diversen Preisen) ein Bauernhaus im Pinzgau, hoch auf dem Berg gelegen, gekauft, das ich nun bezog, nach meinen Plänen einrichtete und somit endlich einen Platz gefunden hatte, wo ich mich zu Hause fühlen und in Ruhe arbeiten konnte. Auch die nächsten Stücke entstanden hier: Das „Pavimento“, das mir den Beethoven-Preis der Stadt Bonn einbrachte, sowie das 1. Klavierkonzert und die 1. Sinfonie (beide Stücke liegen auf CD vor). Als wichtigste Arbeit dieser Zeit nenne ich die „Drei Chöre nach Texten von Nelly Sachs“, die zum Gedenken des Todes von Hanns-Martin Schleyer in Esslingen uraufgeführt wurden. 1973 erhielt ich den Würdigungspreis für Musik des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht und Kunst. Zur gleichen Zeit wurde ich in die „Akademie der Künste Berlin“ als Mitglied aufgenommen. 1985 verlieh mir der österreichische Bundespräsident den Titel „Professor“, denn österreichischer Staatsbürger war ich bereits seit 1964.

An Kompositionen wären noch zu nennen: „Ruth“, Ballett nach dem biblischen Vorwurf von G. Hoffman, uraufgeführt 1959 an der Staatsoper Wien; „Das hohe Lied Salomos“ für Sopran und Bariton mit Klavier oder Orchester, ein Auftragswerk der „Akademie Berlin“. Dann folgte bald die 2. Sinfonie, uraufgeführt in Wien, doch bald produziert am Sender Freies Berlin. Der Verlag dieses Stückes ist Doblinger in Wien. Im gleichen Verlag erschien die 3. Sinfonie, die am 4. VIII. 1992 in Wien uraufgeführt wurde. Die 4. und die 5. Sinfonie ruhen noch auf meinem Schreibtisch.

Vor vier Jahren erlitt ich einen schweren Unfall im Gebirge. Es ist mir unmöglich, Einzelheiten anzugeben, denn ich kann mich an nichts mehr entsinnen. Nur die Tatsache, dass ein Arzt und ein Hubschrauber in der Nähe waren, rettete mir wahrscheinlich das Leben. So wurde ich in das Krankenhaus Klagenfurt abtransportiert. Gegen alle düsteren Prognosen der Ärzte rappelte ich mich wieder hoch, auch das in Mitleidenschaft gezogene Gedächtnis besserte sich allmählich. Es wurde mir ärztlicherseits dringend geraten, nicht wieder in mein Haus auf dem Pinzgauer Berg zu ziehen, auch das Bergsteigen und Schifahren wurde mir untersagt. Ich wurde hier in Baden in das „Hilde Wagener-Heim“ eingewiesen, doch schon nach einem halben Jahr war ich so weit, dass ich mir selbständig eine kleine Wohnung mieten konnte. Hier sitze ich nun, arbeite fleißig und hoffe, hier als „Sinfoniker“ zu sterben.

Quelle: Institut für Österreichische Musikdokumentation, Wien 1993

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